50 Bias und deren Erklärung
Was ist ein Bias?
Ein Bias ist eine unbewusste Denkverzerrung oder ein Denkmuster, was dazu führt, dass wir Informationen, Menschen oder Situationen nicht objektiv bewerten. Diese inneren Automatismen beeinflussen unser Verhalten, unsere Entscheidungen und unsere Wahrnehmung. Das passiert oft ohne dass wir es bemerken.
Von Bias betroffen sind vor allem Menschen, die nicht der gesellschaftlichen Norm (in Deutschland: Männlich, weiß, deutsch) oder Mehrheit entsprechen. Daher betrifft es vor allem Frauen, nicht-binäre Personen, Menschen mit Migrationsgeschichte oder Angehörige anderer marginalisierter Gruppen. Sie erleben mehr Verzerrungen, weil unbewusste Denkmuster historisch gewachsene Machtstrukturen widerspiegeln und dadurch bestimmte Gruppen bevorzugen, während andere benachteiligt werden. Trotzdem sollten alle Menschen, auch jene, die selten direkt benachteiligt werden, ein Grundwissen über Bias haben. Nur wer diese Mechanismen erkennt kann fairer, bewusster und objektiver entscheiden, sowohl im privaten Umfeld als auch am Arbeitsplatz oder in Führungspositionen. Auch Frauen haben häufig Denkmuster die ihnen selbst schaden – ohne es zu merken. Da möchte ich mit dieser Aufzählung Abhilfe schaffen.
Im Folgenden findest daher du eine übersichtliche Aufzählung verschiedener Biases, jeweils mit einer kurzen Erklärung und einem passenden Beispiel, damit du nachvollziehen kannst, wie diese Denkmuster in unserem Alltag wirken und was du vielleicht selbst tun kannst, um diese bei dir zu entdecken und evtl. abzubauen.
Gender-Bias-Formen
1. Gender Bias
Gender Bias bezeichnet die systematische Bevorzugung oder Benachteiligung eines Geschlechts.
Beispiel: Eine Frau wird im Bewerbungsgespräch trotz gleicher Qualifikation seltener eingestellt als ein Mann.
2. Sexismus
Sexismus beschreibt diskriminierende Einstellungen oder Handlungen aufgrund des Geschlechts.
Beispiel: Eine (männliche) Führungskraft hält Frauen grundsätzlich für weniger belastbar.
3. Stereotype Threat
Der Stereotype Threat beschreibt die Angst einer Person, ein negatives Stereotyp über ihre Gruppe zu bestätigen.
Beispiel: Eine Schülerin schneidet schlechter in Mathe ab, weil sie befürchtet, das Klischee „Frauen können kein Mathe“ zu erfüllen.
4. Stereotypisierung
Stereotypisierung bedeutet, dass Menschen bestimmte Eigenschaften pauschal einem Geschlecht zuordnen.
Beispiel: Eine Frau wird automatisch als „fürsorglich“ eingeschätzt, obwohl ihr Verhalten das Gegenteil zeigt, weil Frauen immer fürsorglich sind (natürlich nicht).
5. Role Congruity Bias
Dieser Bias beschreibt die Bevorzugung von Menschen, die traditionellen Geschlechterrollen entsprechen.
Beispiel: Eine Frau wird als Führungskraft abgelehnt, weil sie „zu hart“ wirkt.
6. Gender Role Bias
Gender Role Bias bewertet Verhalten abhängig davon, ob es als geschlechtertypisch gilt.
Beispiel: Durchsetzungsstärke wird bei Männern als Stärke gesehen, bei Frauen jedoch als Unsympathie.
7. Maternal Bias
Frauen mit Kindern werden als weniger engagiert oder weniger verfügbar wahrgenommen.
Beispiel: Eine Mutter wird im Beförderungsprozess übergangen, weil man ihr „familiäre Verpflichtungen“ unterstellt.
8. Paternal Bias
Väter gelten oft als stabilere und engagiertere Mitarbeiter.
Beispiel: Ein Vater erhält eine Gehaltserhöhung, weil er „jetzt mehr Verantwortung trägt“.
9. Likeability Bias
Frauen werden oft weniger sympathisch wahrgenommen, wenn sie kompetent und durchsetzungsstark auftreten.
Beispiel: Eine Frau, die im Meeting klare Entscheidungen trifft, wird als „unsympathisch“ bezeichnet, während der männliche Kollege dafür gelobt wird.
10. Performance Bias
Leistungen werden je nach Geschlecht unterschiedlich bewertet.
Beispiel: Die gleiche Präsentation wird beim Mann als „strategisch“ und bei der Frau als „okay“ bewertet.
11. Attribution Bias
Erfolge und Fehler werden je nach Geschlecht unterschiedlich begründet.
Beispiel: Der Erfolg einer Frau wird auf Glück zurückgeführt, der eines Mannes auf Können.
12. Prove-it-again Bias
Frauen müssen ihre Fähigkeiten häufiger unter Beweis stellen.
Beispiel: Eine Frau muss mehrfach gute Ergebnisse vorlegen, während ein Mann für ein einmaliges gutes Ergebnis bereits Anerkennung bekommt.
13. Benevolent Sexism
Wohlwollender Sexismus wirkt freundlich, stellt Frauen aber als hilfsbedürftig dar.
Beispiel: Ein Kollege nimmt einer Frau Aufgaben ab, weil er denkt, sie „sei überfordert“.
14. Deskriptiver Bias
Dieser Bias beschreibt Annahmen darüber, wie Menschen eines Geschlechts sind.
Beispiel: Eine Frau wird als „emotional“ eingeordnet, obwohl sie sachlich kommuniziert.
15. Präskriptiver Bias
Dieser Bias beschreibt Erwartungen, wie Menschen eines Geschlechts sein sollten.
Beispiel: Eine Frau soll „freundlich“ auftreten, wird jedoch kritisiert, wenn sie streng kommuniziert.
Allgemeine kognitive Biases im Gender-Kontext
16. Confirmation Bias
Menschen suchen Informationen, die ihre bestehenden Erwartungen bestätigen.
Beispiel: Ein Chef bemerkt nur die Fehler einer Frau, weil er überzeugt ist, dass Frauen schlechter arbeiten.
17. Affinity Bias
Man bevorzugt Menschen, die einem ähnlich sind.
Beispiel: Ein männlicher Chef stellt lieber Männer ein, weil er sich mit ihnen mehr identifizieren kann.
18. Halo-Effekt
Ein einzelnes positives Merkmal beeinflusst die Gesamtbeurteilung.
Beispiel: Eine attraktive Frau wird als weniger kompetent eingeschätzt.
19. Horn-Effekt
Ein einzelnes negatives Merkmal überblendet alle Stärken.
Beispiel: Eine Frau wird wegen eines Versprechers als „unprofessionell“ abgestempelt.
20. Ingroup Bias
Eigene Gruppen werden bevorzugt behandelt.
Beispiel: Ein Führungskräfteteam aus Männern wählt wieder einen Mann aus.
21. Outgroup Homogeneity Bias
Andere Gruppen wirken homogener als die eigene.
Beispiel: „Frauen sind alle gleich“ ist ein typischer Ausdruck dieses Bias.
22. Anchoring Bias
Der erste Eindruck wirkt besonders stark.
Beispiel: Eine Frau wird beim ersten Eindruck als „zu leise“ bewertet und kann dieses Bild kaum ändern.
23. Availability Bias
Leicht verfügbare Informationen (meist Klischees) prägen Entscheidungen.
Beispiel: Medien zeigen Frauen selten in Tech-Berufen, daher gelten Frauen oft als „weniger technisch begabt“.
24. Status Quo Bias
Menschen bevorzugen den aktuellen Zustand.
Beispiel: Ein Unternehmen bleibt bei männlichen Führungskräften, weil „es immer so war“.
25. Attribution Error
Verhalten wird unterschiedlich erklärt, je nach Personengruppe.
Beispiel: Ein Mann kommt zu spät wegen „viel Arbeit“, eine Frau wegen „schlechter Organisation“.
26. Competence/Confidence Gap Bias
Selbstsicherheit wird überbewertet, Kompetenz unterbewertet.
Beispiel: Ein Mann der selbstbewusst auftritt, wird als kompetent angesehen. Auch dann, wenn die Ergebnisse fehlen.
27. Implicit Bias
Unbewusste Vorurteile steuern Entscheidungen.
Beispiel: Eine Person bevorzugt unbewusst männliche Teammitglieder für technische Aufgaben.
28. Framing Bias
Die Formulierung beeinflusst die Wahrnehmung.
Beispiel: Wenn ein Job „starke Führung“ verlangt, wirkt er automatisch männlich kodiert.
Biases im Berufsleben
29. Recruitment Bias
Der Auswahlprozess wird durch unbewusste Vorurteile verzerrt.
Beispiel: Ein weiblicher Vorname führt dazu, dass ein Lebenslauf schlechter bewertet wird.
30. Leadership Bias
Führung wird oft männlich konnotiert.
Beispiel: Eine Frau gilt als „zu weich“ für eine Leitungsfunktion.
31. Double Bind Bias
Frauen müssen gleichzeitig warm und kompetent sein, was einen kaum erfüllbaren Widerspruch darstellt.
Beispiel: Eine Frau wird kritisiert wenn sie zu freundlich ist, aber auch wenn sie zu streng wirkt.
32. Tall Man Bias
Größere Männer werden als führungsstärker empfunden.
Beispiel: Ein großer Mann erhält eine Führungsrolle, obwohl seine Qualifikation identisch mit einem kleineren Mann ist.
33. Pay Gap Bias
Ungleiche Bezahlung wird als normal akzeptiert.
Beispiel: Ein Mann verhandelt aggressiv und bekommt mehr Gehalt, während Frauen dafür kritisiert und als geizig dargestellt werden.
34. Opportunity Bias
Männern werden eher Chancen zugetraut.
Beispiel: Ein Mann wird für ein wichtiges Projekt ausgewählt, weil er „Potenzial“ hat.
35. Mansplaining Bias
Männer erklären Frauen Dinge, obwohl diese gleich oder besser qualifiziert sind.
Beispiel: Ein Mann erklärt einer Expertin grundlegende Fakten aus ihrem Fachgebiet.
36. Tokenism
Einzelne Personen aus unterrepräsentierten Gruppen werden sichtbar eingesetzt um den Anschein von Vielfalt zu erzeugen ohne strukturell etwas zu verändern.
Beispiel: Ein Unternehmen stellt eine einzelne Frau in ein männlich dominiertes Führungsteam und nutzt sie anschließend als Beweis dafür, „dass man divers aufgestellt ist“.
37. Interruption Bias
Bestimmte Gruppen werden in Gesprächen häufiger unterbrochen als andere.
Beispiel: In einem Meeting wird eine Frau immer wieder mitten im Satz von männlichen Kollegen unterbrochen, der letztlich genau das gleiche sagen möchte
38. Gläserne Decke
Unsichtbare Barrieren hindern Frauen und Minderheiten daran hindern, in die obersten Führungspositionen aufzusteigen.
Beispiel: Eine Frau mit exzellenten Leistungen und langjähriger Erfahrung wird immer wieder für Führungsrollen übergangen, während weniger qualifizierte männliche Kolleg:innen befördert werden.
39. Glass Cliff
Frauen oder Minderheiten werden gerade dann in riskante Führungspositionen zu berufen, wenn die Lage besonders schwierig ist.
Beispiel: Eine Frau wird als neue CEO eingestellt, nachdem das Unternehmen in eine Krise geraten ist. Kurz darauf wird sie für den anhaltenden Abwärtstrend verantwortlich gemacht.
Biases in Bildung & Wissenschaft
40. Teacher Expectation Bias
Lehrkräfte bewerten Leistungen abhängig vom Geschlecht unterschiedlich.
Beispiel: Lehrerkräfte loben Jungs eher für Mathe-Erfolge und Mädchen für Fleiß.
41. Curriculum Bias
Lehrmaterialien zeigen Geschlechter oft stereotyp.
Beispiel: Schulbücher zeigen Männer als Wissenschaftler und Frauen als Krankenschwestern.
42. Research Bias
Studien basieren historisch häufiger auf Männern.
Beispiel: Medikamente werden an männlichen Testpersonen getestet und wirken bei Frauen anders.
Biases in Medien & Gesellschaft
43. Representational Bias
Ein Geschlecht wird stereotyp oder ungleich dargestellt.
Beispiel: Frauen fehlen in Technikwerbungen, was Klischees verstärkt.
44. Beauty Bias
Frauen werden stärker über ihr Aussehen bewertet.
Beispiel: Eine weibliche Politikerin wird nach ihrer Kleidung/Körperform beurteilt, nicht nach Inhalten ihrer Reden.
45. Motherhood Penalty
Mütter gelten als weniger engagiert (u. a. im Bezug auf Karriere).
Beispiel: Eine Mutter bekommt keine Projektleitung, weil man ihr mangelnde Bereitschaft für Überstunden unterstellt.
46. Fatherhood Bonus
Väter werden für dasselbe Verhalten belohnt, was bei Frauen abgestraft wird.
Beispiel: Ein Vater wird als verantwortungsbewusst gelobt, wenn er früher Feierabend macht.
47. Gender Data Gap
Fehlende Daten über Frauen führen zu falschen Standards.
Beispiel: Sicherheitsgurte sind auf männliche Körper ausgelegt und gefährden Frauen.
Biases zu Geschlechteridentitäten
48. Cisnormativity Bias
Dieser Bias geht davon aus, dass alle Menschen cisgender sind.
Beispiel: Formulare bieten nur „männlich“ oder „weiblich“ an.
49. Heteronormativity Bias
Heterosexualität gilt als Norm.
Beispiel: Werbung zeigt ausschließlich heterosexuelle Paare.
50. Nonbinary Erasure Bias
Nicht-binäre Menschen werden gar nicht erst mitgedacht.
Beispiel: Eine Firma spricht in ihrer Kommunikation nur von „Männern und Frauen“.
Am Ende?
Wenn du bis hierhin gelesen hast, weißt du, wie vielfältig, tiefgreifend und unterbewusst Biases wirken können. Gleichzeitig ist diese Liste trotz ihrer Länge nie vollständig. Sprache, Strukturen und Denkweisen entwickeln sich weiter. Deshalb interessiert mich deine Perspektive: Habe ich einen Bias vergessen, der unbedingt in diese Liste gehört? Oder hast du vielleicht selbst ein Beispiel dafür, wie sehr unbewusste Verzerrungen unseren Alltag bestimmen? Teile deine Gedanken, Erfahrungen oder Ergänzungen gerne unten in den Kommentaren. Sie helfen nicht nur mir, sondern auch allen anderen die das Thema besser verstehen wollen.
Trotz allem was gerade nicht rund läuft sind wir nicht „am Ende“. Jeder kleine Schritt in Richtung Bewusstsein, Sensibilisierung und Veränderung hat Wirkung. Wir können Strukturen aufbrechen, Muster erkennen und Entscheidungen fairer gestalten. Und auch wenn der Weg manchmal steinig ist: Wir sind nicht allein unterwegs. Je mehr Menschen hinschauen, desto schneller verändert sich etwas. Allein, dass du dich mit diesem Thema beschäftigst, ist ein wichtiger Teil davon.
Auf eine Zukunft in der wir bewusster, reflektierter und menschlicher handeln 🥂
